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Der geteilte Schlager-Himmel

Aktualität: 13.06.2011 | Autor: | Kategorie(n): Schlager, Trend-Board

Helene Fischer - Schlager-Prinzessin für ein breites Publikum

Helene Fischer - Schlager-Prinzessin für ein breites Publikum

Der deutsche Schlager ist eine eigene Welt. Weitgehend autonom durchkreist er das Universum der Publikumsgunst – nicht ganz beziehungslos, denn man begegnet anderen Genres und enfernt sich wieder, zieht sich an, geht Fusionen ein oder lehnt bzw. stößt sich ab, beleuchtet sich oder wirft Schatten.

Im Großen und Ganzen kommt der deutsche Schlager jedoch ganz gut mit sich selbst aus…

Aber auf dem Schlager-Erdball haben sich unterschiedliche Kontinente etabliert, auf denen man lebt, arbeitet, feiert und sich fortpflanzt. Die Basis, die Schlagerkugel, ist dieselbe und man teilt sich einen Himmel. Schaut man hinauf, glitzert und funkelt es zwischen tiefem Schwarz und diffusen Nebeln. 

Die Bewohner der Schlager-Kontinente gehören ebenso irgendwie zusammen, kommunizieren auch miteinander, tauschen sich aus, besuchen sich gegenseitig – haben aber sonst im Alltag nicht viel gemein. Jedes (Schlager-) Land, also jeder Interpret, hat sein eigenes Hoheitsgebiet, spricht einen anderen Dialekt, einige sprechen (singen) sogar (in) völlig verschiedene(n) Sprachen. Manche organisieren sich als kontinentale Gemeinschaft oder mal übergreifend als G 8 oder G 20.

Die Hitparade ist dann sowas, wie „Olympische Spiele“ oder Weltmeisterschaft“ oder ein UNO-Kongress. Dabei sein ist alles. Es gibt herausragende Spitzenleistungen, viele Mitschwimmer und ein paar Exoten, die man freundlich oder amüsiert belächelt.

Da gibt es die übergroße und alles beherrschende Schlager-Doppelmacht von Andrea Berg und Helene Fischer – zwei Supermächte, die in sich ruhen und sich selbst genügen. Schlager-Rakete nach Schlager-Rakete wird in den Schlager-Himmel geschossen. Fast jedes Mal entlädt sich ein Himmelszauber aus Sternen, Farben, Formen und Explosionen, der seine Zuschauer in den Bann zieht – und manchmal bleibt ein Fixstern stehen, der noch lange Abend für Abend sein helles Licht wirft und auf den Schlagerreisende vom ganzen Schlager-Erdball immer wieder Bezug nehmen (z.B. Du hast mich 1000 mal belogen). 

Die Anderen teilen sich den Rest der Schlagerwelt, dürfen in Raumfahrtprogrammen auch mal mitmachen, haben aber nicht die Kraft, Vergleichbares auf die Beine zu stellen:

Das sind alte Kolonialmächte, die irgendwie immer dazu gehören, aber nur partiell Neues auf den Markt bringen- überwiegend ältere Schlager“barden“ und -Interpreten, wobei sich das „alt“ inzwischen auch auf das physische Alter bezieht. 30, 40, gar 50 Jahre Repertoire, Bühnen- und Lebenserfahrung bringen die in die Schlagerwelt ein. Das macht sie ein Stück unabhängig, bringt zuweilen taugliches, manchmal auch bewundernswertes hervor – manchmal aber auch nur Belangloses. Einige Kolonialmächte nutzen ihre Kraft für immer wieder Neues. Dabei honorige Künstler von Udo Jürgens bis Peter Maffay, der trotz zahlreicher Wandlungen immer noch von der Schlagergemeinschaft gemocht wird. Andere verharren mehr im Erinnern, gleich, ob im neuen Kleid (mit neuen CD’s) oder gänzlich mit immer nur aufgewärmten Kaffee.

An den Rändern dieses Kontinent oder auch mittendrin, im Dunstkreis, machen immer wieder mal kleinere „Staaten“ von sich reden. Michelle z.B., das Stehauf-Frauchen, die sich endlich von ihren Tonleiter-Sprüngen in jeder neuen Schlagermelodie verabschiedet hat? Apropo Endlich: Ella Endlich, die erst geschickt Altbewährtes aufwärmt und damit die Herzen erobert um nun Neues zu präsentieren. Derlei Beispiele gäbe es viele.

Dann sind da die weitgehend autonomen Mächte a la Bollywood (Indien) oder China, die niemanden brauchen, weil sie so viele Menschen vereinen und trotzdem nur partiell vom Rest der Welt wahrgenommen werden und mit ihm interagieren: Die Volksmusik! Die Kastelruther Spatzen regieren so ein Reich, zum Beispiel. Gern gesehen sind auch mehr rentertaugliche „Hofnarren“, wie Semino Rossi.

Dann gibt es die entrückten Eis- und Schnee-Welten, die sich auch schon mal auf heißen Inseln festsetzen; Apres-Ski-Prinzessinnen und -Prinzen, die außerhalb dieser gekapselten Welt niemand wahrnimmt. Da wird gegrölt, gebeatet, gescratcht und gecovert, was das Zeug hält und der Rest der Schlagerwelt samt elektronischer Helferlein moderner Musikproduktion hergeben. Einige Exoten haben dabei eigene Daseinsformen entwickelt, die sich im geschützten Raum der Inselwelt behaupten und auch Eigengewächse hervorbringen, wie Fliegenpilze im Waldboden – erst unsichtbar, dann über Nacht bunt schillernd und wer davon nascht, spürt leichte Rauschzustände mit anschließender Kopfschmerzgarantie. Nur selten schafft einer der Exoten den Sprung auf ein Schiff, um zu anderen Kontinenten aufzubrechen und sich auch dort den Zeitgenossen vorzustellen. Das bekannteste Beispiel ist vielleicht DJ Ötzi.

Natürlich entwickeln sich auch Hybriden, also Mischformen. Hier prominent ist z.B. Jürgen Drews. Der regiert zusammengenommen vielleicht 2-3 Hektar Inselfläche, bevorzugt in Kellern, die die Namen von deutschen Landstrichen tragen und nennt sich dann selbstbewusst König von… – ist zugleich aber eine alte Kolonialmacht und bricht mit geschicktem Marketing und alten Beziehungen immer wieder ins Bewusstsein der gesamten Schlager-Hörerschaft ein.

Zurecht zuletzt die Parasiten der Schlagerwelt, die nichts, aber auch gar nichts Eigenes einbringen, sondern nur – eben parasitär – den Rahm abschöpfen, sich ausschließlich bei Anderen bedienen und so wenigstens via Tandiemen einen Teil zu Erhalt und Wohlstandsmehrung der Schlager-Zivilisation beitragen. Die Rede ist von Adoro & Co., meist Männergruppen in unterschiedlicher Anzahl, die Ihre Existenz den Größen der Klassik-Interpreten verdanken (Carreras, Pavarotti & Co.), sich aber überwiegend im Schlager-Almanach bedienen und in meinen Augen völlig verzichtbar sind.

Zur Zeit rumourt es mächtig auf dem Schlager-Erdball. Im Innern wirken mächtige Kräfte, es brechen Vulkane aus und Erdplatten verschieben sich. Manchmal entstehen neue Inseln, manchmal werden welche verschluckt oder von Tsunamis weggeschwämmt. Einige Ereignisse werden mit neuen Feuerwerken schwärmerisch begrüßt, andere einfach vergessen.

Es bleibt abzuwarten, wer die tektonischen Verschiebungen überlebt und wie und zu welchen zwischenzeitlichen Paritäten diese Veränderungen führen. Ob die Kräfte ausreichen, wirklich Neues, Gutes und Überlebenstaugliches hervorzubringen?

Quellenangabe: Das Foto oben stammt von Fotograf Christian Mai, Copyright: AUF EINS / EMI.

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2 Kommentare bisher
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  1. Wow, das nenn ich mal einen Überblick. Wobei meine Favoriten von früher einfach nicht mehr dabei sind. Der deutsche Schlager hat sich schon sehr verändert in den letzten Jahren.

    Grüsse,

    Max

  2. Auf adoro und Ähnliches kann ich auch gut verzichten…aber es ist schon bemerkenswert, wie schnelllebig der deutsche Schlager inzwischen geworden ist und wie viel sich in kurzer Zeit einfach verändert.

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